Eine überbestimmte Naturform – die hexagonale Struktur
Es ist einsichtig geworden, dass die hexagonale Struktur sich auf den unterschiedlichsten Ebenen der Natur von sich aus ereignet und dies aus sehr unterschiedlichen Gründen. Die Entstehung hexagonaler Strukturen in der Natur wird zudem durch unterschiedlichen Ursachen begünstigt. Das Phänomen der hexagonalen Gestalt lässt sich folglich als eine überbestimmte Form bezeichnen.
Grundlage für diese konkreten Betrachtung des Phänomens der hexagonalen Gestalt ist ein Schhichtenmodell der Natur von Rupert Riedl. Demnach haben sich alle strukturellen Entwicklungen (Evolution) als Differenzierung und Einschub zwischen Mikro- und Makrokosmos (oder zwischen den Teilen (Quanten) und dem Ganzen (Kosmos)) ereignet. Das Ereignisfeld ist (mindestens) zweiseitig bestimmt und aufgespannt, die kausalen Wechselwirkungen und daraus resultierende Phänomene können aus zwei Richtungen (Material- und/oder Formbedingung = Aristotelischer Formbegriff) bestimmt werden. Verschiedene Gründe und Ursachenfelder wirken ineinander und bedingen sich so gegenseitig. (Zum Schichtenmodell siehe „Strukturen der Komplexität – eine Morphologie des Erkennens und Erklärens“ von Rupert Riedl 2000)
Als Beispiel dient ein kurzer Blick auf die Biene und ihren Wabenbau. Bei der Bildung der Bienenwaben kommen schon einige Faktoren zusammen, die gemeinsam ein hoch ökonomisches Strukturphänomen erkennen lassen. Das Kriterium der effizienten Raumfüllung, wird hier durch die einfache und lückenlose Parkettierung als Beschaffenheit des Raumes selbst sehr effektiv ausgenutzt. Ganz im Sinne der Biene lassen sich so möglichst viele Waben auf geringster Fläche unterbringen, zudem kommt ihr die Materialersparnis dabei deutlich zu Gute kommt – sie muss weniger Wachs produzieren. Dass sie mit ihrem Körper das Maß der Waben vorgibt und sich während der geduldigen Bauphase das Wachs durch ihre Körpertemperatur erwärmt und letztlich so in die hexagonale Form auskristallisiert – zeigt, wie eng all diese Prozesse aufeinander und miteinander abgestimmt funktionieren und sich wechselseitig bestimmen – also hier wörtlich informiert sind und sich entsprechend ausformieren.
Die enge Vernetzung dieser Gestaltungsprozesse und das gegenseitige Informiertsein, welches wir aus der strukturlogischen Perspektive dem Systemgeschehen und der Vernetzung innerhalb der Schichtenhierarchie selbst zu schreiben können, bedarf letztlich keiner jenseitigen Gedächtnisinstanz, wie so oft angenommen. Gleichwohl geben wir gern zu, dass das Auftauchen einer solchen natürlichen Gestaltungstendenz geradezu verleitet, sich einen planvollen Konstrukteur oder so etwas wie eine absolute Gestalt, an der sich alle Prozesse gezielt orientieren oder erinnern, vorzustellen. Die unterschiedlichen Ebenen in der Natur müssen sicher nicht aktiv voneinander wissen oder hintergründig informiert sein, es scheint sich gerade aus der lebendigen Mitte der Wechselwirkung der Schichten heraus diese Strukturtendenz immer wieder neu zu begünstigen und als gemäße Anforderungen heraus zu stellen, so vereinen sich mehrere natürliche Prinzipen in einer Struktur und geben ihr eine überbestimmte Form.
Die Frage, warum sich der Mensch in seinen kulturellen Äußerungen global des Symbols oder Zeichens der hexagonalen Gestalt bedient, läßt sich tendenziell am besten aus der Perspektive der Gestalttheorie (Gestaltpsychologie) beantworten. Unser Auge scheint ganz intuitiv eine klare Formensprache zu lieben, sie entspricht seinem innersten funktionsbedingten Bedürfnis nach Prägnanz, Geschlossenheit und Klarheit. Die tiefenpsychologische Frage nach der Erinnerung eines tiefer liegenden und weiter reichenden, archetypischen Gehaltes wird zudem berührt.
Es bleibt aber offen, ob das vielschichtige Wesen der hexagonalen Struktur in seiner natürlich überbestimmten Form von uns wahrgenommen werden kann? Ob wirklich alle unterschiedlichen Ursachen, die zu einer hexagonalen Struktur führen selbst noch in der einzelnen Naturgestalt ablesbar sind? Oder anders gefragt, ob sein innerstes Wesen uns letztlich überhaupt unmittelbar zugänglich ist? Es stehen sich hier zwei komplementäre Lesarten gegenüber, die beide ihr perspektivisches Recht einfordern. Einerseits die Frage, ob nicht die bloße zeichenhafte Potenz dieser spezifischen Gestaltformation in der unmittelbaren Wahrnehmungsfunktion zur Wirkung kommt, oder andererseits, ob sich hier nicht tatsächlich ein vielfach bestätigtes und verdichtetes natürliches Wesen – in einer konkreten Form verkörpert – erkennen lässt?
© PRHS _ Preetz 2018